Jahreslosung 2023: Du bist ein Gott, der mich sieht.
1.Buch Mose 16,13
Benutzt und nicht beachtet! – so fühlt sich Hagar. Wie ein Gebrauchsgegenstand, dem niemand persönliche Würde zumessen würde.
Darum ist sie geflohen. Weg von Abraham, dem Großviehbesitzer, dessen Magd und Sklavin sie ist. Und weg von Sarah, Abrahams Frau.
Weil Sarahs Kinderwunsch trotz Gottes Verheißung bislang unerfüllt blieb, hatte sie Hagar als Leihmutter ausgewählt und ihrem Mann zugeführt. Nachdem Hagar schwanger war, hat sie ihre Herrin vielleicht zu selbst- und erfolgsbewusst angesehen? Vielleicht aber hat Sarah die veränderte Situation – die sie selbst herbeigeführt hat – schlicht und einfach nicht ertragen und als Kränkung empfunden? Sie beklagt sich bei Abraham, doch der hat keine Lust die Frage zu klären. „Mach mit ihr, was Du willst“, antwortet er schlicht.
Hagar also flieht. Auf den Weg nach Ägypten durchquert sie die Wüste und macht erschöpft an einem Brunnen Rast. Stillstand – es geht weder vor noch zurück! Es ist ein Tiefpunkt ihres Lebens! Aber hier erfährt sie Beachtung von Gott.
Die biblische Geschichte berichtet von einem Engel, der ihr Weisung gibt und der ihrem Kind Zukunft verheißt. „Ismael“ – „Gott hört“, soll er heißen und wird zum Vorfahren der Araber werden. Hagar gibt darauf Gott, dessen Nähe sie spürt, einen Namen. „El-Roi“. Kurz und bündig klingt es in ihrer Sprache, aber für sie ist alles gesagt. „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ oder: „Du bist ein Gott, der in Erscheinung tritt!“, so lässt sich der Name übersetzen.
Eine spannende Geschichte! Offen erzählt sie von menschlichem Versagen, das aus Enttäuschung und empfundener Verletztheit erwächst – selbst bei Abraham und Sarah, den Protagonisten der biblischen Erzählung. Gott hält weiter an ihnen fest und an seinem Versprechen, das er beiden gab – das wird im Fortgang der Ereignisse klar. Ihr Versagen hebt Gottes Treue nicht auf. Aber er bindet sich nicht parteiisch an sie und die Geschichte seines Volkes allein. Einem weiteren Volk eröffnet er Zukunft. Eine konfliktreiche Zukunft zweier Brudervölker wird dies werden – bis heute. Beiden Völkern aber steht er zur Seite und wirkt darauf hin, dass ihre Zukunft gelingt. Kein Volk – auch kein anderes! – darf Gott für sich und seine Ziele vereinnahmen.
Am meisten sticht aus der Geschichte der Name Gottes hervor und die Verheißung, die darin liegt: „Es gibt einen Gott, der mich sieht“. Ein gedemütigter Mensch spricht aus, dass nichts und niemand ihn zu einem Gebrauchsgegenstand, zu einem Mittel zum Zweck herabwürdigen kann. Erfahrener Verachtung und Lieblosigkeit setzt Hager eine andere Erfahrung entgegen: Ich bin der Beachtung würdig –von Gott habe ich Beachtung erfahren. Oder auch so: In der Erfahrung meiner Würde wurde ich mir der Gegenwart Gottes bewusst.
In einer Zeit, in der für viele Menschen das Wort „Gott“ leer und ohne Bedeutung geworden ist, mag sich dieses Bekenntnis als hilfreich erweisen, Gottes lebendige Gegenwart mit eigener Lebenserfahrung zu verbinden.